Leserbrief von Dietmar Kinder, Elsdorf-Heppendorf:
Machen wir uns nichts vor: Die Abholzung des 4.100 Hektar großen Hambachwaldes mit uralten Eichen- und Buchenbeständen ist schlicht und ergreifend eine Schandtat an der Umwelt, ein Frevel an den hier lebenden Menschen. Und jetzt, wo es um den kläglichen Rest von rund 200 Hektar geht, ist – angesichts des sich anheizenden Klimawandels – das blinde Festhalten am alten Plan der Total-Plattmachung eine Total-Verspottung. Die meisten Verantwortlichen für dieses Unrecht an der Natur – von den industriehörigen Großkopferten bis zum nickenden kurzsichtigen Kommunalpolitikern – liegen längst unter der Erde und können ihr vermessenes Handeln von damals nicht einmal mehr bereuen. Aber die heute Lebenden können erkennen, was nun unbedingt getan werden muss, die Kettensägen einmotten und den Schrottwert der Dinosaurier-Bagger taxieren. Als ich mich mit anderen vor nun über 30 Jahren daran machte, um für eine Zustimmung für eine andere Sicht im Hinblick auf den auf uns zu kommenden Riesentagebau Hambach zu werben, stießen wir kaum auf Sympathie. Mit der Gründung der Bürgerinitiative „Verheizte Heimat“ haben wir uns dennoch unverdrossen für eine Rücknahme der Tagebaugrenze – und nur darum ging es – eingesetzt, um wenigsten einen Teil des uralten einst riesigen Hambachwaldes zu retten. Nicht nur aus Gründen des Umweltschutzes, sondern auch, um die Menschen der Umgebung keinen vermeidbaren Feinstaub- und Lärmbelästigungen auszusetzen. Denn der Wald zwischen Tagebau und den Dörfern hätte auch wie ein natürlicher Filter gewirkt. Wir haben diese und andere Gefahren und mögliche Schädigungen klar benannt. Wir fanden aber damals nicht die breite Unterstützung, um mit dem entsprechend nötigen Druck zumindest die minimale Chance für ein Umdenken der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft zu wahren. Wir waren um Konsens bemüht und haben dabei immer versucht, die ganze mit dem Braunkohleabbau und Verstromung der Kohle verbundene Problematik zu sehen, so dass bei uns auch intern natürlich das Thema Energieversorgung und Sorge um die Arbeitsplätze eine Rolle spielte. Unsere Strategie war stets so angelegt, dass es bei unseren durchgeführten und geplanten Einsätzen nicht eines einzigen Polizeibeamten bedurft hätte. Das ist heute leider anders gekommen. Die Umweltzerstörungen nahmen mit dem fortschreitenden Tagebau zu. Viele Menschen, die die Folgen lange verdrängt hatten, sind nun aufgewacht, sind nun entsetzt und möchten sich wehren. Und die allermeisten möchten auch, dass das auf legale friedliche Weise geschieht. Denn der stärkste Trumpf in der Demokratie ist die Möglichkeit, Menschen für seine Überzeugung gewinnen zu können. Doch hier im speziellen Fall wurden und werden Grenzen überschritten. Chaoten und Berufsdemonstranten haben in kurzer Zeit mutwillig Vertrauen zerstört. Das Bedenkliche an unserem heutigen demokratischen Rechtsstaat ist, dass beherzigenswerte Anliegen der betroffenen Menschen erst ernstgenommen werden, wenn sich gewalttätige Radikale einmischen. Die Macher beim RWE und der Politik denken immer noch nicht um, obwohl auch ihnen klar ist, dass in den erneuerbaren Energien ein Vielfaches der Arbeitsplätze stecken, die im verkorksten Braunkohleabbau verloren gehen. Man muss sich diesen riesigen Krater des Hambacher Braunkohleloches (neben denen der benachtbarten Tagebaue Inden und Garzweiler) mal bei „Google Earth“ im Intermet ansehen, um zu begreifen, welche Wunden der Erde hier geschlagen werden (vom Verschwinden ganzer Dörfer und Kulturdenkmälern, vom Wegpumpen des Grundwassers u. dergl. mehr, ganz zu schweigen). Sogar vom Weltraum aus sind diese Krater zu sehen. Und die Verantwortlichen nennen diese Kraterlandschaft auch noch stolz „terra nova“, also „Neues Land“. Das ist blanker Zynismus. Wo doch schlecht und abscheulich – also „Terra mala“ – hier wohl der einzig richtig passende Ausdruck wäre.
Quelle:
30. August 2018 Kölner Stadt Anzeiger