17. Oktober 1978

Redner sprachen beim neuen Tagebau Hambach vom Jahrhundert-Werk

Minister setzt Riesenbagger in Marsch

400 Gäste- waren Zeuge des Ereignisses

Erftkreis (mü) – Im Dreieck zwischen Bergheim, Düren und Jülich graben sich seit gestern Mittag hinter einem „Limes“, aufgeschüttet aus heimischem Ackerboden, zwei gigantische Bagger tief ins Erdreich des Hambacher Forstes. Das Ziel der Maschinen, die vom nordrheinwestfälischen Wirtschaftsminister Hörst-Ludwig Riemer per Knopfdruck in Gang gesetzt wurden, liegt in 200 bis 500 Meter Tiefe: Rheinbraun greift die riesigen Kohlevorräte an, die zwischen Köln und Aachen in der Erde liegen.
Im Zuge vom, Hambach 1 sollen 2,4 . Milliarden Tonnen des heimischen Energieträgers gefördert werden. Von den insgesamt 55 Milliarden Tonnen, die im Revier geortet wurden, können nach Ansicht von Rheinbraun in den nächsten Generationen noch rund 35 Milliarden Tonnen wirtschaftlich gewonnen werden.

Rund 400 Gäste

Hinter dem hohen Erdwall am Rand der Orte Hambach und Oberzier, der die Bürger vor Lärm und Staub schützen soll, wurde gestern morgen dem Jahrhundertprojekt gebührend Rechnung getragen. Insgesamt rund 400 Gäste verfolgten die Inbetriebnahme des ersten Baggers.
Mit dem Minister, der die energiepolitische Bedeutung der Braunkohlenförderung im Rheinland hervorhob, waren die Gäste per Omnibus hinaus an den Rand des knapp 40 Quadratkilometer großen Waldes gekommen. Darunter Regierungspräsident Dr. Franz-Josef Antwerpes, Landräte, Oberkreisdirektoren, Bürgermeister und Verwaltungschefs aus den umliegenden Kreisen und Kommunen.

Großes Polizeiaufgebot

Die Polizei begleitete das Spektakel mit einem großen Aufgebot an Beamten, die der Prominenz nicht von den Fersen wichen. Der offizielle Start zu dem Unternehmen, das bereits seit Jahrzehnten ins Auge gefaßt ist und das seit einige Jahren mit einiger Skepsis verfolgt wird, ist vor dem Hintergrund der Lage auf dem Energiemarkt zu sehen. Wenn Mitte der 80er Jahre die Tagebaue Frechen und Fortuna-Garsdorf auslaufen, soll Hambach die dort verlorene Förderkapazität ersetzen. Mitte der 90er Jahre sollen pro Jahr 50 Millionen Tonnen gewonnen werden. So bleibt das Niveau von 110 bis 120 Millionen Tonnen in den Rheinbraun Betrieben erhalten. Die Sorgen der Anrainer, die sich in Bürgerinitiativen zusammengeschlossen haben , im um ihre Interessen gegenüber dem Bergbauunternehmen zu vertreten, sind ganz anderer Natur (siehe auch: Kritiker fordern neuen Teilplan). Grundsätzlich bezweifelt zwar niemand die Notwendigkeit des Aufschlusses der jetzt im Gange ist. Dennoch wurde jahrelang leidenschaftlich für die Erhaltung des knapp 40 Quadratkilometer großen Mischwaldes gekämpft, der etwa die Hälfte des gesamten Tagebaugebietes ausmacht.
Es regten sich auch die mehr als 5 000 Bürger in den vier Orten, die im Zuge des Tagebaufortschrittes ihre Heimat verlassen müssen.
Insgesamt kamen im Laufe eines langen Genehmigungsverfahrens vor der Verbindlichkeitserklärung des Ministerpräsidenten 3700 Einwendungen gegen das größte Unternehmen, daß Rheinbraun je in Angriff genommen hat.

Doch die Argumente der energiepolitischen Notwendigkeit und der Arbeitsplatzsicherung für 15000, die auch gestern wieder zitiert wurden, überwogen stets das Projekt Hambach. Ernsthaft in Frage gestellt wurde der Tagebau nie grundsätzlich. Es ging den Kritikern in erster Linie um Planungsdetails, Fragen der Umsiedlung, der Rekultivierung und den Umweltschutz.
Ein aus elf Teilen bestehendes ökologisches Gutachten, das der Braunkohlenausschuß bei Experten orderte, ergab Forderungen, die allerdings nur zum Teil Einfluß in die Richtlinien zum Tagebau Hambach fanden.
Das der Tagebau mehr ist als nur ein Kratzer in der Landschaft, weiß man auch bei Rheinbraun. Die beteiligten Ministerien und Behörden, die bei der Eröffnung gestern vertreten waren, sind sich der Problematik ebenso bewußt wie der Notwendigkeit.

„Ein ganz besonderes Ereignis“

Minister Riemer appellierte in seiner Festrede an alle Beteiligten, auf dem Gebiet des Umweltschutzes weitere Anstrengungen zu unternehmen, damit die Belastungen weiter gesenkt würden. Für den Bürger bleibe wohl immer „ein Rest an Belästigungen“ und besonders für die Umsiedler ein Verlust an immateriellen Werten, nämlich der Verlust einer altangestammten Umgebung.
Rheinbraun-Aufsichtsratsvorsitzender Professor Heinrich Mandel verstand den Tagebau als Garantie für die Versorgung der Verbraucher bis weit in das kommende Jahrhundert. Insofern sei Hambach für das Unternehmen ein „ganz besonderes Ereignis“.
Bis 1990 werden im Hambach fünf Milliarden Mark investiert, von den insgesamt 15 000 Rheinbraun-Beschäftigten sind ständig knapp die Hälfte unmittelbar von Hambach I abhängig. Hinzu kommen die Belegschafter der RWE-Kohlekraftwerke, weitere 8 000 im Revier.

Vorstandsmitglied Dr. HansJoachim Leuschner ging vor den Gästen speziell auf die Probleme der Rekultivierung und der notwendigen Umsiedlungen ein. Rheinbraun sei sich der Verpflichtung bewußt, die Eingriffe in die Natur weitestgehend durch die Gestaltung einer neuen Landschaft zu beheben.

Für die Bewohner von LichSteinstraß, vor denen die Umsiedlung als „ein Berg voller Probleme“ stehe, hatte Leuschner Trost parat: Sie möchten auch an den positiven Effekt einer Umsiedlung denken“, an „die Verbesserung der Wohnqualität… —

Quelle: Kölner Stadt Anzeiger, WalterSchmühl Di.17.Okt.1978

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert