Energie durch Wasserfall im Braunkohlenrevier?
Experten beurteilen Chancen eines Pumpspeicherkraftwerks positiv
Voraussetzung ist der Aufschluß der Tagebaue Hambach oder Garsdorf
Köln – Woher kommt morgen unser Trinkwasser? Über diese Frage diskutieren nicht nur Kommunalpolitiker und Wissenschaftler. Auch Leute der Praxis, zum Beispiel im linksrheinischen Braunkohlenbergbau, machen sich darüber Gedanken. Bekannt ist der sogenannte Gärtner-Plan, künftige Großtagebaue als künstliche Wasserspeicher zu verwenden. Neu ist der Vorschlag, im Braunkohlenrevier auch ein Pumpspeicherkraftwerk zu errichten und dadurch eine kombinierte wasser- und energiewirtschaftliche Nutzung zu erreichen. Experten halten das für möglich.
Das Prinzip ist bekannt: Beim Pumpspeicherkraftwerk stürzt, wenn zusätzliche Energie in Zeiten des Spitzenbedarfs erwünscht ist, das Wasser aus einem sogenannten Oberbecken durch einen mehrere hundert Meter langen Tunnel in die Tiefe, wo Turbinen angetrieben werden, die Strom erzeugen. Bei rückläufigem Strombedarf kann das Wasser aus einem Unterbecken durch die Tunnel wieder ins Oberbecken gepumpt werden: Die Reserven werden aufgefüllt.
Die Fachzeitschrift „Braunkohle“ hat kürzlich über die Möglichkeiten, im Braunkohlenrevier ein Pumpspeicherwerk zu betreiben, berichtet. Dabei wurde vorausgesetzt, daß eine solche Anlage nach der Auskohlung der tiefen Tagebaue im Rheinland wirtschaftlich noch vertretbar ist.
Deckgebirge als Kippe
Bei einem Pumpspeicherwerk im Revier, so schreibt der Autor, würde das Oberbecken auf einer mit Aufschlußmassen angelegten Außenkippe liegen (bei neuen Tagebauen müssien die hohen Deckgebirge zunächst in der Landschaft als Kippe untergebracht werden, bismit dem fortschreitenden Tagebau der Abraum als „lnnenkippe“ in der Rekultivierung verwandt werden kann Das Unterbecken würde durch das Restloch des Tagebaues gebildet.
Auf Grund der zur Zeit möglichen Kipptechnik und der Tagebautiefe dürfte der Höhenunterschied 300 bis 350 in betragen – genug für den Sturz in die Turbinen. Wenn man sich die Entwicklung innerhalb der Elektrizitätswirtschaft, so der Bericht weiter, mit einer Verdoppelunq der installierten Leistung in etwa zehn Jahren vor Augen führt, dann dürfte die Annahme einer Generatorleistung von 2000 Megawatt für ein Pumpspeicherwerk im Rheinland sicher nicht zu hoch gegriffen sein. Ausgeschlossen wird jedoch auch nicht eine Leistung von 4000 oder 6000 Megawatt, wenn es das Verbundnetz erfordert.
Stromverluste
Ob und in welchem Umfang überhaupt die Tagebaue Hambach (zwischen Buir und Jülich – die Autobahn Köln-Aachen müßte beim Aufschluß verlegt werden) und Garsdorf (südlich von Grevenbroich) für solche wirtschaftlichen Uberlegungen zur Verfügung stehen, ist zur Stunde noch nicht entschieden. Allerdings deutet vieles auf das Interesse von Rheinbraun am Aufschluß von Hambach hin. Rheinbraun-Direktor Dr. Erwin Gärtner: „Wenn Hambach nicht aufgeschlossen wird, entsteht einerseits ein bedeutender Verlust für die westdeutsche Stromversorgung und zum anderen wird die Möglichkeit vertan, durch neue Veredelungsvorhaben diesen preisgünstigen Rohstoff nutzbar zu machen.“
Gärtner-Plan
Die bis zu 500 m tiefen mächtigen Flöze des Tagebaues Hambach enthalten hochwertige Rohkohle eines Heizwertes von 2300 bis 2800 Kilokalorien je Kilo Kohle. Die Vorräte reichen auch bei der vorgesehenen hohen Förderleistung von 50 Mill. Tonnen im Jahr – Tagebauinhalt fünf Milliarden Tonnen gleich zwei Mrd. Tonnen Steinkohleeinheiten – zur langjährigen Sicherung der Förderung im Revier.
Zum Vergleich: Die Reserven der Bundesrepublik an Erdöl ,betragen 81 Mill. Tonnen (116 Mill. Tonnen SKE), der Vorrat an Erdgas 395 Mill. Kubikmeter (435 Mill. Tonnen SKE). Der Energievorrat von Hambach liegt damit etwa in der Größenordnung der Energiereserven in den niederländischen Erdgasfeldern (2,2 Md. Tonnen SKE).
Der Vorschlag, auch im Rheinland ein Pumpspeicherkraftwerk zu bauen, basiert im übrigen auf dem sogenannten Gärtner-Plan zur langfristigen Trinkwasserversorgung. Rheinbraun-Direktor Dr. Erwin Gärtner hat schon vor ein paar Jahren vorgeschlagen, die ausgekohlten Gruben Hambach und Garsdorf als Wasserspeicher zu verwenden, die über unterirdische Stollen vom Rhein her mit Wasser versorgt werden sollen. Der Plan erregte nicht nur in Fachkreisen Aufsehen; er beschäftigte auch die Landesregierung.
Der See des Tagesbaues Hambach würde eine Fläche von 24 Millionen Quadratmeter bedecken und könnte – bei einer mittleren Tiefe von 104 m – etwa 2500 Mill. Kubikmeter Wasser aufnehmen. Garsdorf brächte es auf 765 Mill. Kubikmeter.
Demgegenüber sind die bisherigen großen Talsperren die reinsten Tümpel: Der Rursee faßt nur 205 Mill. Kubikmeter Wasser, die Biggetalsperre 162 Mill. Kubikmeter. Und die bekanntesten Braunkohlenseen im Südrevier, die vor den Toren Kölns zu Zentren des Wassersports geworden sind, zählen da schon gar nicht mehr: 3,13 Mill Kubikmeter im Liblarer See (553 000 qm, knapp 6 m tief), 1,40 Mill. Kubikmeter im Heider Bergsee (348 000 qm, 4 m tief).
Quelle: Kölner Stadt Anzeiger, Willy Kreitz, Die, 01. 02. 1972